Angeschlagene Psyche – Megatrend am Arbeitsplatz!

Diesen Morgen werde ich nicht vergessen: Ich durfte eine Organisation beim Erarbeiten ihrer strategischen Schwerpunktthemen begleiten. Als ich frühmorgens ins Toggenburger Seminarhotel fuhr und mich über der Nebeldecke die Sonne begrüsste, kam mir eine Idee für den Tagesstart: Ich lud die Teilnehmenden ein, sich in Tandems auf einen 20-minütigen Spaziergang zu begeben und sich die Frage zu stellen: Was braucht unsere Organisation jetzt gerade am dringendsten? Was die Zweiergruppen ins Plenum zurückbrachten und bei Tee und Kaffee austauschten, war eindrücklich und prägte den Arbeitstag.


Das Statement der ersten Zweiergruppe brachte das Thema bereits auf den Punkt: «Wir brauchen Luft!», drückte sich eine Führungsperson mit bewegter Mimik aus und erhielt gleich Zustimmung und Unterstützung. In der Folge entwickelte sich ein offenes Gespräch über Druck, Belastung, Anspannung, Überforderung und Erschöpfung. Ich war von der Authentizität und der greifbaren Betroffenheit des Teams schwer beeindruckt.

Neue Prioritäten
Als gegen Mittag fünf strategische Schwerpunktthemen skizziert waren, waren Kommunikation, kooperative Arbeitsformen, Qualitätssicherung und interne Prozesse zwar auf der Liste, allerdings nur auf den Positionen 2 bis 4. Als strategisches Ziel Nr. 1 für die kommende Periode definierte die Unternehmensführung:

Wir stärken die psychische Gesundheit aller Beteiligten!


Am Nachmittag wurden konkrete Pläne geschmiedet: In einem verbindlichen Projektauftrag wurden Massnahmen, Verantwortlichkeiten, Ressourcen, Zeitplan sowie Zwischenevaluationen festgelegt. Man beschloss, das Ziel klar zu kommunizieren und sämtliche Beteiligten einzuschliessen, von den Lernenden über die Führung bis zu externen Partnerinnen und Partnern.

Ist psychische Belastung Tabu oder Megatrend? Ich bin überzeugt: beides!


Ich arbeite derzeit viel mit Schulen, Kliniken, Personaldienstleistern sowie mit Unternehmen aus Architektur und Bau. Bezüglich Druck und Erschöpfung erlebe ich überall dasselbe: Mehr Menschen als gewohnt befinden sich jetzt an ihrer Belastungsgrenze! Dieser Zustand drückt sich in Konflikten, Qualitätseinbussen und Krankheit aus. Und weil psychische Belastung vielerorts ein Tabu ist, braucht es fünf Massnahmen: 

  1. Senken Sie den Druck, wo Sie können! Ohne eine Reduktion der Anspruchshaltung bezüglich Tempo, Quantität und Terminen geht es nicht. Bieten Sie gesellschaftliche Anlässe an, aber erwarten Sie gleichzeitig keine Teilnahme. Gewähren Sie Mitarbeitenden mehr Zeit und Freiraum. 
  2. Überprüfen Sie als Führung Ihr Wording und Ihre Tonalität! Drücken Sie echte Anteilnahme, Interesse, Ermutigung, Wertschätzung und Vertrauen aus, und streichen Sie alle Begriffe, die mit Kontrolle, Erwartung, Enttäuschung, Druck und Wettbewerb assoziiert werden.
  3. Enttabuisieren Sie das Thema der psychischen Belastung und öffnen Sie vertrauliche Gesprächskanäle. Stellen Sie sicher, dass alle Mitarbeitenden wissen, an wen sie sich wenden können und dass sie willkommen und geschützt sind.
  4. Erheben Sie Wohlbefinden, Klima und Belastungsintensität am Arbeitsplatz regelmässig durch anonyme Befragungen. Befragungsergebnisse haben allerdings nur einen Effekt, wenn sie zu konkreten Massnahmen führen, deren Erfolg evaluiert wird. 
  5. Bieten Sie Ihren Mitarbeitenden professionelle Unterstützung an. Klären Sie im Dialog, welche Form gerade am meisten Entlastung bringt: Team-Supervision, Intervision, Einzelcoaching, psychologische oder medizinische Beratung. 

Nehmen Sie sich zu Beginn des neuen Jahres Zeit, die Belastungsintensität ihrer Mitarbeitenden zu erheben. Ich helfe Ihnen gerne, eine Befragung zu erstellen, um valide Daten zu generieren. Mit einer aussagekräftigen Ist-Analyse lassen sich Massnahmen griffiger planen und umsetzen. Ich glaube:

Die grössten Erfolgschancen haben im Sommer 2023 diejenigen Unternehmen, welche die Belastung ihrer Mitarbeitenden am behutsamsten steuern.


André Kesper ist Kommunikations- und Organisationsberater sowie dipl. Coach bso. Er berät Sie in anspruchsvollen Ausgangslagen und moderiert ihre Entwicklungsprozesse. Möchten Sie sich unverbindlich austauschen? Schreiben Sie einfach eine E-Mail.